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Quelle: themoviedb.org
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Inhalt

In Anlehnung an die gleichnamige taktische Proteststrategie - eine Aktion, die darauf abzielt, ein Ziel direkt und mit den effektivsten Mitteln zu erreichen - dokumentiert Direct Action den Alltag einer der bekanntesten militanten Aktivist*innengemeinschaften Frankreichs und stellt die Frage, ob der Erfolg einer radikalen Protestbewegung einen Weg aus der Klimakrise bieten kann.

Kritik

Im letzten Akt von Direct Action, der neuen Zusammenarbeit des Künstlergespanns Ben Russell (Good Luck) und Guillaume Cailleau (Laborat), befinden wir uns auf einem weitläufigen Feld, das in unregelmäßigen Abständen von geworfenen Rauchgranaten in dichten Nebel getaucht wird. Nah und fern sehen wir Menschen—auf der einen Seite eklektisch kostümierte Demonstrant*innen, derer viele ob des Tränengaseinsatzes der Polizei mit Masken ausgestattet, auf der anderen Seite die uniformierte Staatsgewalt, die, weit davon entfernt, vor Gewalteinsatz zurückzuschrecken, die nicht enden wollende Menge an heranpilgernden Aktivist*innen zurücktreibt. Plötzlich tritt von außerhalb der Einstellung, deren beinah verdächtige Ruhe uns erst in diesem Moment vollends bewusst wird, eine Frau vor die Kamera, die den Männern dahinter, ohne im Schritt je innezuhalten, vorwirft, dass dies nicht das sei, was sie filmen sollten.

Es ist das Jahr 2022, und mehr als 10.000 Protestierende sind in die Gemeinde Sainte-Soline gekommen, um die Wasserprivatisierungspläne der Regierung zu verhindern, die, so die Position der Protestierenden, das regionale Ökosystem zugunsten der großen Agrarunternehmen der Region gefährde. Die Sommer zuvor hatten bereits aufgezeigt, dass die Region im Sommer unter zunehmenden Dürren leidet. Sainte-Soline, das ist eine kleine Gemeinde unweit von Poitiers, rund 200 km südlich von Notre-Dame-des-Landes in der Region Pays de la Loire, in der sich ein Jahrzehnt zuvor eine sogenannte ZAD, eine autonome „Zone à defendre“, gegründet hatte. Als die französische Regierung 2008 beschloss, das einst in den 1960er Jahren geplante Flughafenprojekt „Grand Ouest“ wieder aufzunehmen, hatten sich bereits erste Besetzer*innen in der Region niedergelassen.

2012, als der damalige französische Premierminister Jean-Marc Ayrault unnachgiebig die Vertreibung der Besetzer*innen veranlasste, löste er damit eine Welle des Widerstands aus, der sich, über Jahre hinweg, als dermaßen resilient erwies, dass sich Édouard Philippe, der im Vorjahr zum Premierminister ernannt worden war, dazu entschloss, einzulenken. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich auch viele Stimmen der nationalen und internationalen Filmindustrie per Petition gegen das Flughafenprojekt ausgesprochen — unter ihnen Aki Kaurismäki, Alice Diop, Philippe Garrel, Pedro Costa oder Víctor Erice.

Dies alles bildet den Kontext, innerhalb dessen der Amerikaner Ben Russell und der Franzose Guillaume Cailleau ihren Film Direct Action situieren. Anders allerdings, als es dieser Abriss vermuten lässt, versucht sich ihr Langzeitprojekt weniger daran, die maßgeblichen Entwicklungen und Ereignisse zu dokumentieren, die sich während ihrer Aufenthalte in Notre-Dame-des-Landes und Sainte-Soline zwischen 2020 und 2022 zutrugen, als es es sich zur Aufgabe nimmt, Einblicke in die täglichen Abläufe des kollektivistischen Lebens zu geben. In dem offenkundigen Verzicht auf weitere Hinter- und Vordergrundinformationen verwirklicht sich der Ansatz des direkten Kino, das sich unvoreingenommen den Vorgängen hingibt und uns abverlangt, die präsentierten Räume selbst zu erschließen.

Erst 2020 war Russell über Medienberichte auf das Aktivist*innenkollektiv in Notre-Dame-des-landes gestoßen, das indes, angefeuert durch Akteur*innen der französischen Politik, öffentlichkeitswirksam in einen Zusammenhang mit Ökoterrorismus gestellt wurde. Nachdem er den befreundeten Cailleau mit der Absicht kontaktierte, die Gemeinschaft selbst besuchen zu wollen, stellte der Franzose direkte Kontakte her, die es den beiden Filmemachern erlaubten, tief in die täglich gelebte Realität der Aktivist*innen vorzudringen.

Auf diese Weise ist es auch zu verstehen, dass die „Direct Action“, die der Titel suggeriert, nicht nur auf die außerparlamentarisch erzwungenen Handlungen der Besetzer*innen verweist, sondern auch den filmischen Ansatz beschreibt, den Russell und Cailleau verfolgen. Spannenderweise ist allerdings das, was die Filmemacher „direktes Kino“ nennen, meist indirekt, was nicht zuletzt auf die ethischen Grundsätze der Regisseure zurückzuführen ist. Sobald wir uns nämlich explizit politischen Diskussionen und Plänen annähern, werden diese dadurch entpersonalisiert, dass die Kamera, wenngleich in Hördistanz bleibend, wegsieht und sich auf Randphänomene fokussiert. Hierin findet sich zusätzlich ein Kontrastpunkt zu Russells immersivem Let Each One Go Where He May, der sich noch auf zwei, wenngleich namenlos bleibende, Protagonisten kaprizierte. In Direct Action steht hingegen das Kollektiv im Vordergrund, das Erkunden der Zwischenräume wird zum Gestaltungsprinzip. Oft interagieren oder reagieren die Personen vor der Kamera mit Personen, Tieren und Dingen, die sich außerhalb unseres Sichtfeldes befinden. Wie so oft insbesondere bei Russell gelingt es auf virtuose Weise, uns in die filmische Welt eintauchen zu lassen, ohne uns allerdings die Ausschnitthaftigkeit des Dargestellten vergessen zu machen.

Wie schnell unsere Wahrnehmung durch Assimilationsprozesse korrumpiert wird, zeigt sich im Kontrast zwischen einer Szene, in der sich eine Person mit einer Motorsäge durch mehrere Bäume fräst, und der Folgeeinstellung, in der wir ein Pferd, in fast gänzlicher Stille, auf einer Wiese stehen sehen. Erst in diesem Moment realisieren wir, dass Russell und Cailleau in Direct Action Disruption durch das Ausbleiben von Disruption herbeiführen; dass die lange Einstellung uns so sehr an das laute Dröhnen der Säge gewöhnt hatte, dass die Stille der Folgeeinstellung zur eigentlichen Disruption wird.

Diese Gewöhnungsprozesse haben Methode und affizieren unser Zeitgefühl dergestalt, dass sich dieses bald vollends in den Vorgängen aufzulösen scheint. Wenn die Zeit sich ausdehnt und wir im Moment aufgehen, ist das jedoch keineswegs von hypnotischer Qualität. Vielmehr verweisen die minutenlangen und zumeist statischen Einstellungen auf ein Lebensmodell außerhalb zeitlicher Taktung. Beinah kurz fallen angesichts dieser Konzeption die dreieinhalb Stunden aus, die Kameramann Ben Russell in lediglich 40 Einstellungen auf 16mm einfängt. Es bedarf keiner fortgeschrittenen Mathematik, um sich auszurechnen, dass die Durchschnittseinstellung länger als fünf Minuten dauert. Mag eine solch entschleunigte Inszenierung zunächst als konträr zum Titel anmuten, so dämmert es uns mit fortschreitender Laufzeit, dass sich die im Titel angekündigten ‚direkten Handlungen‘ nicht  auf den im letzten Drittel dokumentierten politischen Widerstand beschränken, sondern insbesondere in dem von Produktivitätszwängen losgelösten kommunenhaften Leben der Aktivist*innen ihre Entsprechung finden.  

Jenes letzte Drittel indes, in dem wir uns auf den eingangs beschriebenen Feldern von Sainte-Soline wiederfinden, auf die die abertausenden von Aktivist*innen marschieren, spielt schwer übersehbar mit Militärikonographie, deutet diese jedoch clever um. Die Einstellung am Rande des Geländes des geplanten Wasserreservoirs etwa, in der wir, ohne Wissen darüber, um wie viele Demonstrierende es sich handelt, Aktivist*in um Aktivist*in dabei beobachten, wie sie ins Bild treten, um den kleinen Graben zu überkommen, der sie vom Industriegelände trennt, evoziert ein gängiges Bild der Militärführung. Ebenso wie die Kamerad*innen, die einander die Hand reichen, um das Hindernis gemeinsam zu überqueren, steht auch das selbstgebaute Holzkonstrukt — eine Art mobiler Wachturm, den die in ungleich zusammengewürfelter Montur heranziehenden Menschen vor sich hertragen — für eine Variation des Détournement, wie es einst den Anhänger*innen der Internationale lettriste und später der Situationist International vorschwebte. Durch eine solche Umdeutung tradierter Bildkompositionen — symbolisch garniert durch die Aufblastiere, die einige der Aktivist*innen mit sich tragen: ein Einhorn, eine Giraffe, ein Hai, eine Schildkröte — wirkt nicht nur die bald darauf einsetzende Polizeigewalt umso niederschmetternder, es wird auch gleichzeitig eine Aneignung der Bilder in Aussicht gestellt.

Das kinematografische Projekt Russells und Cailleaus nimmt sich folgerichtig dann am effektivsten aus, wenn unverhoffte Verbindungslinien zwischen Momenten gezeichnet werden, sich Motive, unter veränderten Bedingungen, verdoppeln. Wenn sich etwa unser Sichtfeld auf dem „Schlachtfeld“ von Sainte-Soline infolge der von der Polizei geworfenen Rauchgranaten vernebelt, denken wir unweigerlich zurück an den Moment zuvor — war es vor einer Stunde, oder gar vor zwei? —, als wir einem Mann dabei zusahen, wie er mehrere Crêpes-Eisen gleichzeitig bediente und die Küche wiederholt in Nebel tauchte. Es ist eine Verbindung, die sich Russell und Cailleau nicht hätten ausdenken können, eine Verbindung, die nur dadurch ermöglicht wurde, dass das Künstlergespann über den Konflikt hinaussieht, der die zahlreichen Gemeinschaften zwar einst zusammenführte, nicht aber definiert.

Fazit

Mit Direct Action spiegelt das Regie-Gespann Ben Russell und Guillaume Cailleau mit den Mitteln der Entschleunigung den auf Dezeleration bedachten Lebensentwurf der Aktivist*innengemeinschaft von Notre-Dame-des-Landes. Wenngleich sie die politischen Kämpfe gegen die von der Regierung angedachten Wasserprivatisierung und Großbauprojekte nicht aus den Augen verlieren, verdeutlichen Russell und Cailleau doch mit jeder ihrer Einstellungen, dass es ihnen um weit mehr geht als nur die zyklisch verlaufenden Konflikte — dass sich eine Alternative zum kapitalistischen Produktivitätszwang denken lässt, und dass es sich für diese zu kämpfen lohnt.

Kritik: Patrick Fey

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